"RAF – Begnadigungen" - Süddeutsche Zeitung, 20.01.2007
Begnadigung der ehemaligen RAF-Häftlinge
Wenn die unmittelbaren Gefahren vorbei sind, verblassen die schlimmsten
Erinnerungen. Manchmal verflüchtigen sich aber auch die Anstrengungen
zur Überwindung der Ursache des Schreckens oder die Energien, ein altes
Trauma endgültig zu überwinden. Als der Terrorismus der 70er und 80er
Jahre noch
die deutsche Öffentlichkeit und besonders die Verantwortlichen in Politik
und Wirtschaft abgrundtief erschreckte, war das noch anders. Damals gab
es in allen Medien und politischen Gruppen einen engagierten Streit über die
Frage, wie man dem begegnen solle. Da war alles im Angebot: Die
Wiedereinführung der Todesstrafe, ein massiver Ausbau der
Sicherheitsapparate, die Modernisierung
der gesamten Strafverfolgungsmethoden, die Anwendung der
Notstandsgesetze auf die innenpolitische Gefahrensituation. Die damalige
Regierung - immerhin
eine sozial-liberale Reform-Koalition - befand sich unter erheblichem
Handlungs- und Legitimationsdruck. Politiker und ihre Familien mußten
unter regelrechten Sicherheits-Schutzpanzern ihre Arbeit erledigen,
führende Personen der deutschen Wirtschaft, der Banken, der Diplomatie
rechneten mit allem und führten sehr ernste Gespräche mit ihren Familien.
Der Druck war groß und die Energien, eine politische Lösung zu finden,
enorm.
Nicht erst, als die meisten Gefangenen in Haft waren, sondern auf dem
Höhepunkt der Bedrohung, der berechtigten Ängste und mancher medialer
Hysterien begann damals auch die öffentliche Debatte, daß eine polizeiliche
und sicherheitsdienstliche Bekämpfung zur Gefahrenabwehr nicht reichen
würde. Es begannen Versuche, das Geschehene zu begreifen, auch aus den
Biographien der Akteure. Warum haßten sie diese Gesellschaft so? Handelte
es sich doch bei den meisten RAF-Mitgliedern um Kinder aus gebildeten
bürgerlichen Familien, um begabte Studentinnen und Studenten, die sich
früher einmal für eine Menge von sozialen und politischen Fragen
interessiert und engagiert hatten. Es war nicht einfach, dieses Interesse an
der Geschichte der Einzelnen zu entwickeln, da der öffentliche Schock über
die Verbrechen so tief saß.
Rückblickend aber läßt sich sagen, daß gerade die ersten Versuche von
Dialogen mit den Terroristen, die Gespräche mit den Inhaftierten über ihr
verzerrtes Weltbild und ihre haßerfüllte Hybris, aber auch die staatlichen
Angebote von Strafverkürzungen und auch Begnadigungen im Zweifel der
entscheidende Hebel waren, warum die Bundesrepublik Deutschland nicht in
eine Endlosschleife von terroristischen Taten und staatlichen Reaktionen
und Überreaktionen eingetaucht ist. Jeder Fall liegt anders und jedes Land
hat seine eigene Geschichte, aber die Verewigung des Terrors in Irland mit
der
IRA und in Spanien mit der ETA waren damals warnende Beispiele, um einen
anderen, intelligenteren Weg zu versuchen. Nämlich die Strafverfolgung zu
verbinden mit Ausstiegsmodellen für die, die sich vom Terror trennten.
Die ersten Dialogversuche mit inhaftierten Terroristen wurden von dem
damaligen Justizminister Engelhard und seinem Staatssekretär Klaus Kinkel
staatlicherseits vorsichtig ermutigt, in der Gesellschaft engagierten sich
Personen wie Heinrich Böll, Helmut Gollwitzer, Hans-Magnus Enzensberger,
Martin Walser, Kurt Scharf, Ernst Käsemann. (Manchmal würde man sich
wünschen, es gäbe auch heute noch solche Personen, die sich mit
ungewöhnlichen Vorschlägen für die Lösung solch extremer
gesellschaftlicher Konflikte in die erste Reihe wagten!)
Die ersten Begnadigungen im Jahre 1987 wurden vom CDU-
Ministerpräsidenten Bernhard Vogel und dem Bundespräsidenten Richard v.
Weizsäcker ausgesprochen – für Gefangene, die gerade 10 oder 11 Jahre in
Haft waren. Im Hintergrund hat es dafür die Zustimmung von Helmut Kohl,
von Hans-Jochen Vogel, ja sogar von Franz Joseph Strauss gegeben.
Das ist lange her. Inzwischen gibt es keinen deutschen Terrorismus mehr,
die RAF hat einen endgültigen Gewaltverzicht erklärt. Diejenigen, die
ausgestiegen waren und sich in die DDR abgesetzt hatten, belegten auf ihre
Weise, daß niemand auf ewig Terrorist sein muß. Die letzten vier Mitglieder
jener Roten Armee Fraktion,
die es nicht mehr gibt, aber sitzen immer noch in Haft. Alle sind
resozialisiert. Niemand hat daran den geringsten Zweifel. Mit 24 Jahren bzw.
22 Jahren haben Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt, Eva Haule, länger
im Gefängnis gesessen als jeder NS-Täter. (Albrecht Speer z.B. saß 20 Jahre
in Spandau und danach standen ihm sogar die Türen zur Berliner
Gesellschaft offen.)
Von Birgit Hogefeld, die später verhaftet wurde, ist bekannt, daß sie eine
entscheidende Rolle bei der Gewaltverzichtserklärung der RAF im
Untergrund gespielt hat. Ihre Schuldeinsicht und der Aufruf an mögliche
Andere, nie wieder diesen Weg der Gewalt zu gehen, prägte schon ihre
ersten Erklärungen während des Prozesses. Auch sie sitzt inzwischen im
vierzehnten Jahr in Haft.
Es ist an der Zeit ein Kapitel zu beenden. Es ist an der Zeit, daß sich die
deutsche Öffentlichkeit und die deutsche Politik dazu gratuliert, dieses
Thema Terrorismus mit Klugheit, Maß, Umsicht und demokratischem Mut
richtig beendet zu haben. Der Bundespräsident sollte und kann die
Begnadigungen bald aussprechen – und zwar für alle verbliebenen
Inhaftierten zusammen – wenn sie es denn wollen. Die deutsche
Öffentlichkeit ist nicht rachsüchtig – wenn sie nicht medial aufgeputscht
wird. Es braucht nicht mehr so viel Mut
und nicht mehr so viel Energie, die für ein gutes Ende aufzuwenden ist.
Problematisch ist immer nur die Gleichgültigkeit und das Desinteresse einer
Öffentlichkeit, die leicht vergißt, daß hier im Sinne eines humanen Friedens
© 2015 Dr. Antje
Vollmer